Der Biss der „Schwarzen Witwe“ und die Zukunft des Kinos
Im neuen Marvel-Blockbuster „Black Widow“ sehen wir mehr Vergangenheit als Zukunft des „Marvel Cinematic Universe“
Im Jahr 2008 zieht ein Stern im Pophimmel auf und wird erstmals von Kritikern auf der ganzen Welt als solcher erkannt. Mit dem Tom Waits-Coverhits-Album „Anywhere I lay my Head“ stürmt die bis dato unbekannte Schauspielerin Scarlett Johansson, von ihren Eltern nach Scarlett O´Hara aus vom „Winde verweht“ benannt, die weltweiten Charts. Welch Fehlentscheidung der Popstar-Eltern! So hatte Johansson vor Veröffentlichung des jedem heute bekannten Albums in relativ unbekannten Hollywood-Filmen mitgewirkt. Angefangen bei „Der Pferdeflüsterer“ über die Woody Allen-Filme „Match Point“, „Scoop – Der Knüller“ und „Vicky Christina Barcelona“ hin zu „The Black Dahlia“ und „Die Schwester der Königin versuchte es Johansson sogar im Action-Genre mit „Die Insel“. Alles relativ erfolglos.
Vollkommen frustriert probierte es Johansson dann endlich mit Singen und der Erfolg kam natürlich sofort. Er war so gewaltig, dass daraufhin sogar ihre Filme einem größeren Publikum bekannt wurden. Im 2010 erschienenen „Iron Man 2“ wurde sie in das „Marvel Cinematic Universe“ (MCU) eingeführt, um schließlich in „Marvel´s The Avengers“ als Ur-Rächerin Mitglied beim MCU-Kernteam zu werden. Zahlreichen Auftritten darin und einem furiosen Finale in „Avengers: Infinity War“ folgte der absolute Höhepunkt ihrer Karriere: Die EP „Apart“, eingespielt mit Pete Yorn wird mittlerweile in einem Atemzug mit allen farbigen Alben von den Beatles, Metallica und Weezer genannt. A Star was born!
2009 hatte sie vorher mit Pete Yorn bereits schon „Break Up“ eingespielt, eines der meistrezensierten Frühwerke aufkommender Popstars. Der Weg der Karriere war spätestens damit klar. Spätestens mit „Trust in me“, dem Song zur Neuveröffentlichung des Dschungelbuchs aus dem Jahr 2016, in dem sie der Schlange Kaa ihre Stimme leiht, wissen alle, dass Johansson es verdammt ernst meint mit der Musikkarriere. Die Grundlage für ihre erfolgreiche Interpretation der „Black Widow“ im MCU-Filmbusiness war somit aber auch gelegt.
So oder so ähnlich ist die Karriere der Hauptdarstellerin des jüngsten MCU-Blockbusters einzuordnen. „Black Widow“ ist dabei ein Nachklapp, wenn man so will ein längerer Abspann bzw. eine Vorgeschichte zu „Avengers: Endgame“, mit dem das Franchise sowohl seinen Höhepunkt erreichte als auch wieder mal eine Phase dieses Phänomens abschließt, um darauf aufbauend eine neue einzuläuten. Die wievielte das jetzt genau ist, ist mittlerweile sogar für eingefleischte Fans schwer zu durchschauen. Noch schwieriger wird es, wenn man die Filme in eben jene besagten Phasen einordnen will. Fast unmöglich wird es tatsächlich mit „Black Widow“.
Dieser ist in der MCU-Chronologie zeitgleich angeordnet im Anschluss an „The First Avenger: Civil War“, in dem sich die Avengers aufgrund unterschiedlicher Auffassungen über die Rahmenbedingungen zur Ausführung ihrer Rächer-Aufgaben (Stichwort: „Sokovia-Protokoll“) zerstritten haben. Auf der einen Seite: Die regierungstreue Fraktion um Iron Man, die streng mit der UNO verbunden das Verbrechen nach selbst gesetzten Regeln bekämpfen will. Auf der anderen: Die mittlerweile Abtrünnigen mit ihrem Anführer Captain America, die sich keinen Regeln unterwerfen wollen. Zu letztgenannten gehört auch Black Widow und so wird sie im gleichnamigen Film unter anderem auch von Regierungstruppen gnadenlos gejagt.
In der zeitlichen Frage bezüglich der Veröffentlichungspolitik des Films wird es noch komplizierter. Der Film sollte eigentlich im Anschluss an das große Finale in „Avengers: Endgame“ in die Kinos kommen. Doch wie es das Schicksal so will, kam nach der cineastischen Rettung der Menschheit durch die Avengers eine große Bedrohung im wahren Leben auf uns zu und so konnte „Black Widow“ nicht wie ursprünglich geplant anlaufen. Die Corona-Pandemie hat auch an dieser Stelle langfristige Planungen zunichte gemacht. Und so kommt es tatsächlich zu einer bizarren Situation: Die Hauptfigur in „Black Widow“ ist – Achtung Spoiler – gefühlt schon ewig tot. In einer aufopferungsvollen Tat hat sie sich statt Kumpel Hawkeye für die Rettung der Menschheit geopfert. Jetzt sollen wir also mehrere Jahre danach die Vorgeschichte dazu nochmal erleben.
Diese ist tatsächlich auch schnell erzählt. Böse Sowjets haben ein böses Agentenprogramm mit sog. Black Widows aufgebaut, in welchem sie Frauen zu manipulierten Attentäterinnen ohne eigenen Willen ausbilden. James Bond schickt seine besten Grüße. Auch nach dem Ende der Sowjetunion wird dieses Programm fortgeführt und der Mann, der dahintersteht, will – Überraschung – Weltherrschaft und Profit.
Das Programm ist auch der persönliche Hintergrund der Hauptfigur des Films. Diese wuchs in einer vom Black Widow-Netzwerk inszenierten Agentenfamilie auf. Die Agentenschwester ist immer noch Teil des Programms, ihr gelingt jedoch zu Filmbeginn der Ausbruch hieraus. Das schaffte bis dato nur eine Person: Ihre „Schwester“ Black Widow Natascha Romanoff, die dann ein „Avenger“ wurde. Zusammen mit „Vater“ und „Mutter“ wollen alle vier dann endlich das Black-Widow-Programm beenden und diese Unterdrückung auf den Scheiterhaufen der Geschichte schieben. Zu den weiteren die Story betreffenden Hintergründen des Films sei an dieser Stelle der Podcast vom Movie-Steve empfohlen: Krempelcast #81: Genau wie damals in Budapest - Review-Special zu "Black Widow" von Moviesteve (soundcloud.com). Wir wollen uns hier noch zwei anderen gesellschaftlichen Aspekten des Films widmen.
Das Nerd-Universum ist – auch wenn man das vielleicht nicht auf den ersten Blick denkt – teilweise sehr machohaft und misogyn. Die Hauptdarstellerin Brie Larsson aus dem ersten MCU-Film, in dem eine Frau im Mittelpunkt steht, wurde massiv von den achso treuen jünglichen Marvel-Jüngern nach der Veröffentlichung von „Captain Marvel“ im Internet massiv angegangen. „Jetzt nehmen uns die Frauen auch noch unsere Superhelden weg“, waren wohl noch die netteren Worte. Allerspätestens wenn Männer Töchter bekommen, sollte doch auch eigentlich dem letzten Trottel klar werden, dass knapp die Hälfte der Welt einem anderen Geschlecht zugeordnet ist und diese natürlich die gleichen Rechte auf alles hat, was Mann selbst macht. Und zwischen den bekannten Geschlechtern gibt es auch immer welche dazwischen. Die, die das nicht sehen, sind nichts anderes als menschenverachtend. Ungefähr so, wie der Oberschurke in „Black Widow“, der stolz von sich behauptet, die „größte Ressource der Menschheit“ für seine Zwecke genutzt zu haben. So viel sei verraten: Er bekommt seine Strafe und es wäre mehr als wünschenswert, wenn bei Filmen wie „Black Widow“ endlich mal nur über den Film gesprochen werden kann. Soweit sind wir aber leider noch lange nicht! Die Schwarze Witwe aus der Tierwelt bringt die Männchen nach dem Geschlechtsakt um. Das ist sicherlich für sog. Antifeminstinnen eine schöne Analogie, aber total unpassend und bescheuert. Ein etwas mehr respektvoller Umgang mit Superheld*innen wäre dabei vielleicht mal ein Anfang.
Ein anderer Aspekt ist die Diskussion über die Zukunft des Kinos. Scarlett Johansson hat jetzt Disney verklagt, weil der Mauskonzern und Rechtinhaber von Marvel den Film parallel zum Kinostart „coronabedingt“ auch in seinem eigenem Streaming-Dienst DisneyPlus veröffentlicht hat. Für einen Aufpreis, zu dem man mit drei Personen ins Kino gehen kann – allerdings ohne Popcorn und sinnlos großer Cola. Ausgang des Verfahrens: offen. Imageschäden: immens.
Streamingdienste haben durch die Corona-Pandemie einen massiven Schub bekommen. On Demand und Streaming First sind zum lukrativen Geschäftsmodell geworden. Die bekannten Anbieter verdienen sich damit noch eine zusätzliche goldene Nase. Dazu kommt noch die Tatsache, dass Disney offenbar Kinos mit der Veröffentlichungspolitik des Films mit harten Knebelverträgen unter Druck gesetzt hat. Eine deutsche Kinokette hat die Veröffentlichung in ihren Kinos daher verweigert – Umstände, die Cineast*innen das Herz bluten lassen. Lohnt sich „Black Widow“ trotz all dieser Umstände dennoch?
Fazit – und ein sozialkritisches Schlagzeugsolo später…
Die Antwort lautet Ja – allerdings mit ein paar kleinen Abers. „Black Widow“ ist ein äußerst unterhaltsamer Action-Film mit mehr als nur unterschwelligen Referenzen an die älteren James Bond-Filme, in denen „Geheimdienstarbeit“ noch hieß, riesige Weltraum- oder Unterwasserlabore von Superschurken mit ihren Superwaffen in die Luft zu jagen. Er ist auch ein solider Eintrag in das MCU. Dass das im Grunde negativ klingt, liegt schlicht daran, dass Marvel die Latte inzwischen so hoch gelegt hat (einen echten Totalausfall gibt es im MCU praktisch nicht), dass „nur gut“ fast schon enttäuschend ist. Insbesondere bei einem Prestige-Projekt wie „Black Widow“, das reichlich verspätet auch gut machen soll, dass man der einzigen Ursprungs-Rächerin lange offenbar nicht zugetraut hat, einen eigenen Film zu tragen. „Black Widow“ zeigt, dass die Macher damit, sowohl was Schauspielerin als auch Figur angeht, falsch lagen und beide selbstverständlich auf dem etablierten Superhelden-Level mitspielen. Leider versäumt der Film es aber, deutlich darüber hinauszugeben bzw. die Besonderheiten der Titelheldin gezielt zu nutzen: Denn im Gegensatz zu den anderen Solo-Filmhelden verfügt Natascha Romanoff eben über keine besonderen Kräfte (dass auch der ebenso veranlagte Hawkeye keinen eigenen Film hat, ist sicher kein Zufall). Diese physische Verletzlichkeit wird ebenso wenig wirklich dramaturgisch genutzt wie das psychische Trauma der Figur, sowohl als ehemalige gehirngewaschene „Black Widow“-Agentin als auch als Attentäterin für SHIELD (Stichwort: Budapest). Marvel-typisch wechseln sich stattdessen das Umhauen (weniger freundlich formuliert: Niedermetzeln) von Statisten und flotte (meist auch wirklich witzige) Sprüche ab, bis am Ende der – leider mal wieder ziemlich blasse – Oberbösewicht in einer CGI-Materialschlacht fast schon beiläufig sein Ende findet. Nichts daran ist schlecht oder gar langweilig, aber man bleibt doch mit dem Eindruck zurück, dass hier vielleicht mehr drin gewesen wäre, insbesondere im Wissen darum, dass dies (vermutlich, der Tod ist in Superhelden-Universen ja relativ) der letzte Auftritt der Black Widow war.
Die einzige Frage am Ende: Wenn man schon einen Popstar verpflichtet, den man zum Filmstar gemacht habt, warum darf dieser dann nicht singen? Das zu Beginn laufende Nirvana-Cover wird nicht von Johansson gesungen.
Text von: Michael Fürstenberg und Anis Ben-Rhouma
Weiter unten findet Ihr noch die ohnehin bekannten Hits des Stars.
Der Hit aus dem Tom Waits-Coveralbum:
Vertraut der Schlange:
Das kennt wirklich Jede und Jeder: