Spiderman: No Way Home
Ein kleiner Reiseführer über und durch das MCU-Multiversum
„Spiderman: No Way Home“ läuft jetzt schon ein paar Wochen im Kino und mausert sich zu einem großen Erfolg im durch die Corona-Pandemie so arg gebeutelten Disney-Maus-Komplex. Stan Lee, dem großen Marvel-Gott, sei es gedankt! Müssten wir uns sonst doch möglicherweise noch Sorgen machen über die sonst so leidenden Rechteinhaber kleiner Newcomer-Marken wie Star Wars, Pixar und eben Marvel. So kann die große Show im Marvel Cinematic Universe (MCU) weitergehen und unsere kleine Arthouse-Kino-Gruppe hat auch weiter eine Existenzberechtigung.
Aber selbst für uns, die wir die Bezeichnung Nerd eher als Kompliment denn als Beleidigung verstehen, wird es langsam wirklich komplex. Zu weit sind mittlerweile die Verästelungen und zahlreichen Querverbindungen von über 20 Filmen (wenn man die Spiderman-Filme und ihre Spin-Offs aus anderen „Universen“ noch hinzuzählt, kommt man weit über 30!) und Serien, dass selbst wir mit unserem Anspruch, das Ganze schon irgendwie zu „durchdringen“, langsam den Überblick verlieren. Daher starten wir hiermit frei nach Douglas Adams Vorbild des „Reiseführers durch die Galaxis“ den Versuch, ein bisschen Klarheit in die Sache zu bringen. Erst einmal für uns selbst, damit wir nicht den Verstand verlieren (also deswegen dann jedenfalls nicht), aber vielleicht hilft es auch Euch am Ende. Denn über die Frage, ob der Film separat – also, wenn man ohne je einen MCU-Film gesehen zu haben, ins Kino geht und einfach Spiderman schauen will – funktioniert, scheiden sich die Geister. Wahrscheinlich funktioniert es sogar, aber mehr Freude macht es sicherlich, wenn man zumindest ein paar Hintergründe kennt.
Aber Achtung: Es kann und wird hierbei zwangsläufig zu Spoilern kommen! Wir versuchen diese aber auf die absolut notwendigen zu reduzieren.
Spiderman und Marvel Comics – Zwischen Disney und Sony geht es hin und her
Spiderman ist ursprünglich eine Comicfigur. Der Rechteinhaber Marvel Comics hat aber vorerst gar keine eigenen Filme produziert, sondern die jeweiligen Rechte an den Held:Innen jeweils einzeln an Filmstudios vergeben. Da man hieran aber nicht das Gewünschte verdient hat und die kreative Kontrolle über die Charaktere behalten wollte, gründete man mit Marvel Studios ein eigenes Studio. Dieses wurde 2009 von Disney gekauft. Vorher gab es aber bereits durch die erwähnte Rechtevergabe mehrere Spiderman-Filme, die wiederum Sony produziert hat und – jetzt wird es wirklich weird – auch nach der Disney-Übernahme gab es weiterhin „andere“ Spiderman-Filme bei Sony. Disney wollte aber Spiderman – einen anderen dann mit eigenem Darsteller – auch in sein MCU einbauen. Das zog mehrere harte Konflikte über die Rechtefrage nach sich und führte auch bei den Fans zu teilweise großen Verwirrungen (Spiderman wurde zunächst für begrenzte Zeit Marvel überlassen, dafür produziert Sony nunmehr mit „Venom“ und demnächst „Morbius“ „Spiderman“-Filme ohne Spiderman). Jetzt die gute Nachricht: Für „Spiderman: No Way Home“ scheint man sich endlich tragfähig geeinigt zu haben und startet somit den Versuch, das alles ineinander zu packen.
Was man gesehen haben sollte, um mehr Spaß an „Spiderman: No Way Home“ zu haben
Wie bereits erwähnt: Eventuell „funktioniert“ der Film auch, wenn das die erste Comic-Verfilmung ist, die man je im Kino gesehen hat. Größeren Spaß hat man aber in jedem Fall, wenn man zumindest die Grundzüge des MCU kennt. Vielleicht hilft folgende Info: Die knapp 20 ersten MCU-Filme im Disney-Konzern steuern alle auf einen großen Knall zu. Im Rahmen der sog. „Infinity Saga“ löscht der Oberbösewicht Thanos die Hälfte des Universums mit dem Fingerschnipp eines eisernen Handschuhs aus. Und die „Guten“, die sog. „Avengers“ mit Captain America, Iron Man, Thor und später dann auch Spiderman versuchen, das zu verhindern bzw. rückgängig zu machen. Wenn Ihr das alles noch nicht gesehen habt, aber Euch zumindest etwas auf Spidey vorbereiten wollt, dann können wir die Filme „Avengers“ (1 und 2), „Captain America: Civil War“, „Avengers: Infinity War“ und „Avengers: Endgame“ empfehlen. Es ergibt auch Sinn, die Spiderman-Filme „Homecoming“ und „Far from Home“ in dieser Linie zu sehen. Ob Ihr noch einmal die Sony-Spiderman-Filme mit Tobey Maguire (Teil 1 bis 3) und Andrew Garfield (Teil 1 und 2) sehen wollt, müsst Ihr entscheiden. Zwölf Filme zu schauen, um einen so richtig zu verstehen, ist dann vielleicht auch etwas viel.
Spinnenkräfte und die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft
Spiderman ist neben Superman und Batman (die allerdings nicht aus dem Marvel-, sondern dem DC-Universum stammen) sicher der popkulturell bekannteste Superheld, so dass auch ohne Comic- oder Filmvorbildung den meisten die Grundzüge bekannt sein dürften: Der Schüler Peter Parker aus Queens, der bei seinem Onkel und seiner Tante lebt, wird von einer radioaktiven Spinne gebissen und kann fortan „alles, was eine Spinne kann“, insbesondere an Wänden entlang krabbeln, sich an Spinnenfäden durch die Häuserschluchten New Yorks schwingen sowie mit einer Art sechstem Sinn Gefahren erahnen. Diese Fähigkeiten nutzt er dazu, maskiert das Verbrechen zu bekämpfen, nachdem sein Onkel Ben bei einem Überfall getötet wird – aus dessen Mund (bzw. aus dem Geiste von Stan Lee) stammen auch die vielleicht berühmtesten Worte der Comic-Geschichte: „Aus großer Kraft folgt große Verantwortung!“.
Interessant ist, dass diese ikonische Entstehungsgeschichte im MCU erstmal ausgelassen wird – in der (vermutlich berechtigten) Annahme, dass diese ohnehin jeder kennt, taucht Spiderman einfach in „Captain America: Civil War“ auf. Auch in anderer Hinsicht unterscheidet sich der MCU-Spiderman von den vorherigen, denn dieser ist von Anfang an Protegé von Tony Stark/Iron Man, gewissermaßen der Gründungsfigur des MCU, und verfügt damit nicht nur über weit ausgefeiltere technische Möglichkeiten als seine Pendants aus den Comics und älteren Filmen, sondern ist auch über seine Nachbarschaft hinaus direkt in globale bzw. interstellare Auseinandersetzungen verwickelt.
Welcome to the Multiverse
Um die Story im neuen Film zu verstehen, sollte man zumindest wissen, dass im letzten Teil dieser Reihe enttarnt wurde, dass Spiderman im wahren Leben der Schüler Peter Parker ist. Peter lebt bei seiner Tante May, hat eine Freundin namens MJ und einen Kumpel namens Ned. Die leiden alle jetzt gewaltig unter der öffentlichen Bekanntgabe der Identität Spidermans. Um die Situation zu bereinigen, besucht Peter seinen alten Zauberer-Kumpel Dr. Strange und bittet ihn, das Ganze mit einem Zauber rückgängig zu machen. Aufgrund einiger Komplikationen klappt der Zauberspruch nicht und ein Tor zu anderen Welten öffnet sich: Das sog. Multiversum. Dieses umfasst andere Zeitlinien, aber auch andere Universen. Wie zum Beispiel auch die Geschichtslinien, die durch die Sony-Spiderman-Filme entstanden sind. Und jetzt kommt der Knackpunkt: Der Zauberspruch hat dazu geführt, dass aus den anderen Universen jetzt alle, die wissen, dass Peter Parker Spiderman ist, in das Universum des aktuellen Spiderman kommen. Insbesondere die jeweiligen Schurken sind dabei ein ziemliches Problem.
Die Schurken
Bei mittlerweile sieben Spiderman-Filmen hat sich inzwischen ein gehöriges Sammelsurium an Superschurken angesammelt, die die Identität des Fassadenkletterers herausgefunden haben – aus den Paralleluniversen der Sony-Filme schaffen es davon gleich fünf in das MCU (da diese im Trailer bzw. sogar auf dem Filmplakat vorkamen, handelt es sich hier übrigens um keine Spoiler): Der Green Goblin („Spiderman 1“), Doc Ock („Spiderman 2“), Sandman („Spiderman 3“), Lizard („Amazing Spiderman 1“) und Electro („Amazing Spiderman 2“). Auf deren Backstories im Einzelnen einzugehen würde hier zu weit führen, zum Grundverständnis nur so viel: Alle sind nach irgendwie misslungenen Experimenten mutiert bzw. haben den Verstand verloren und alle wurden im Kampf von Spiderman besiegt und dabei getötet (natürlich nicht direkt durch Spiderman, der ist ja der Gute). Durch den Zauberspruch von Dr. Strange werden sie jetzt allerdings vor ihrem Ableben in das MCU verfrachtet, wo sie auf Rache an Spiderman sinnen.
Die Freunde
Peter Parker stehen wiederum natürlich Ned sowieso MJ nebst Tante May und seine ehemalige Kontaktperson zu Tony Stark, Happy Hogan, zur Seite – darüber hinaus ist es jedoch einsam geworden um den Netzspinner, denn die Avengers sind tot oder in alle Winde verstreut, Nick Fury ist (vermutlich im Auftrag von Captain Marvel) im Weltraum unterwegs, und Dr. Strange ist wenig begeistert, dass Peter mit seinen ständigen Änderungswünschen den Vergessensspruch vermurkst hat. Spiderman braucht also Hilfe von anderer Seite. An dieser Stelle haben wir als Rezensenten ein Dilemma: Wie schreibt man über einen Spoiler, der einerseits massiv ist, andererseits aber extrem offensichtlich? Sagen wir so: Wer sich mit der Materie ein bisschen auskennt wird drauf kommen, aber der/die braucht natürlich auch diesen Text nicht. Aus Sicht des Films kann man jedenfalls klar sagen, dass es am besten ist vorher viel über die Vorgeschichte, aber möglichst wenig über den Verlauf des Films selbst zu wissen. Wir gehen daher direkt zur Meta-Ebene über:
Spiderman in Popkultur und Musik
Spiderman an sich ist ein Phänomen. Die Gründe hierzu sind schwer zu ergründen. So gibt es zahlreiche andere Superheld:Innen, aber es lässt sich schon behaupten, dass Spiderman wohl der beliebteste in der Popkultur ist. Wahrscheinlich liegt es auf der einen Seite an seinen eindrucksvollen Spinnenkräften, aber auch an der Tatsache, dass er mit Peter Parker als Schüler einfach eine absolute Identifikationsfigur ist. Und wann beschäftigt man sich das erste Mal mit Comics? Genau: In der Regel, wenn man in der Schule ist. Und außerdem liegt es wohl auch am coolen Anzug. So hat aber die Figur Spiderman Einzug in zahlreiche Ebenen der Popkultur gefunden. Als kleines Beispiel soll hier nur das Spider-Schwein bei den Simpsons genannt werden und die zahlreichen Nennungen in „The Big Bang Theory“ verstehen sich dabei ohnehin ganz von selbst.
Aber auch in der Musik spielt „Die Spinne“ eine große Rolle. Die Ärzte haben bereits 1986 einen Song über Peter Parker aufgenommen, der erst auf der Sammlung „They´ve given me Schrott“ vor nicht allzu langer Zeit veröffentlicht wurde. Fettes Brot lässt auch mit dem Song „Spiderman und ich“ grüßen und selbst die Ramones haben sich nicht lumpen lassen, einen Song über die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft beizusteuern. In „Weine nicht, es ist nur ein Film“ erklärt die Liga der gewöhnlichen Gentlemen uns, dass Spiderman ja eigentlich nur ein Film sei. Kein Grund sentimental zu werden, oder etwa doch?
Fazit: … und ein sozialkritisches Schlagzeugsolo später
Wir sind uns weitgehend einig: Nach den nicht unbedingt herausragenden bisherigen Filmen [z.B. Black Widow] der Phase 4 des MCU ist Marvel mit „Spiderman: No Way Home“ wieder mal ein Knaller gelungen. Hier wird eine echte Balance zwischen den kosmischen Maßstäben und der sprichwörtlichen „Nachbarschaft“ Spidermans, zwischen Humor und Emotionen, zwischen Effektspektakel und intimen Charaktermomenten geschaffen. Nebenbei legt der Film noch die Grundlage für die ganze zukünftige Richtung des MCU, aus dem nach „Endgame“ zunächst etwas die Luft raus zu sein schien, zumindest was die großen Linien (im Gegensatz zu den hervorragenden, aber weitgehend in sich geschlossenen Serien auf Disney+) anging. Gewisse Ungereimtheiten lassen sich dabei nicht ganz vermeiden – in dieser Hinsicht ist es dann (jedenfalls für die geistige Gesundheit und allgemeine Produktivität) allerdings ausnahmsweise tatsächlich besser, nicht zu tief in der Materie engagiert zu sein und die genauen Auswirkungen von Zaubersprüchen in Comic-Verfilmungen zu obsessiv zu analysieren…
Robert Parker, Micha Parker und Anis Parker (wobei drei Parkers auf einmal natürlich überhaupt keinen Sinn ergeben;)