Top Gun: Maverick – Take my Breath Away and Take me to the Danger Zone
Der zweite Teil bringt uns mit jede Menge Popcorn per Schleudersitz zurück in die 80er.
In gleich mehrfacher Hinsicht hatten wir vor dem Gang ins Kino bei diesem Film ein schlechtes Gewissen: Da ist natürlich der Sektenanhänger Tom Cruise, dem man nicht noch zusätzliches Finanzkapital verschaffen wollte. Dann ist da die US Navy, die – wie auch schon beim ersten Teil – dem Film beratend zur Seite stand und das Ganze auch als Darstellung der militärischen Omnipotenz der amerikanischen Truppe vermarktet. Der letzte Punkt ist aber wohl der gravierendste. Darf man in Zeiten eines furchtbaren, völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands überhaupt solch einen Film zeigen und dann sogar angucken? Seit Beginn des Kriegs am 24. Februar ist jedes Cover-Bild auf diesem Kanal mit der Platte „Nie wieder Krieg“ von Tocotronic bestückt. Es mag absurd klingen, denn das machen wir auch hier dann beim endgültigen Titelbild so. Denn auch wenn wir alle drei ein gewisses Faible für Militärdinge haben, so ist doch ganz klar, dass wir jegliche Kriege in der realen Welt ablehnen. Vielleicht muss man aber selbst das auch etwas differenzieren. Wir lehnen die Handlungen der Aggressoren ab, sehen aber sehr wohl ein verbrieftes Recht für diejenigen, die sich verteidigen und dann haben diese natürlich auch das Anrecht, das auch mit den notwendigen Mitteln zu tun.
Wenn man bei diesen Mitteln schon ist, kann man auch wiederum bei „Top Gun: Maverick“ ambivalent draufschauen. Zur Verteidigung des Luftraums könnten die Ukrainer sehr wohl ein paar F18 Super Hornets oder die aus dem ersten Teil bekannten ikonischen F-14 Tomcat-Kampfjets, gebrauchen. Wenn sie dann auch noch ein paar Piloten aus der Flugkampfschule Top Gun wie etwa Pete „Maverick“ Mitchell oder auch einen „Iceman“ in Bestform hätten, wären die Russen wahrscheinlich in einer noch schwierigeren Situation als jetzt. Die dialektische Haltung zu diesem Thema lässt sich aber nicht durch irgendeine Meta-Theorie auflösen.
Natürlich wünscht man den Menschen in der Ukraine Kampfjets, Piloten und eine No-Fly-Zone und deren Kontrolle! Auf der anderen Seite wäre das aber der Eintritt in den Dritten Weltkrieg, wenn es NATO-Flugzeuge mit ihren Mannschaften wären. Wie will man das jetzt beantworten? Wahrscheinlich sagt die Vernunft, lasst es, aber jeder Mensch mit Herz, dem die schrecklichen Bilder von Familien in U-Bahnschächten in Kiew nicht loslassen, denkt auch gleichzeitig: Schickt die ganze Flugzeugträgerflotte, startet die Katapulte und lasst die Mavericks der westlichen Welt ihren Job erledigen! Doch tatsächlich geht es um all das im Plot von „Top Gun: Maverick“ eben nicht und das ist nachdem wir den Film gesehen haben auch irgendwie ganz gut so.
Top Gun – Erster Akt
Wahrscheinlich hat fast jedes Kind der 80er irgendwann im angemessenen Alter den ersten Teil gesehen. Auch wenn der Plot weder tiefgehend noch wichtig ist – das gilt im Übrigen auch genauso für den zweiten Teil – so ist der Film einer der bekanntesten und ikonischsten dieser Zeit. Kurz zusammengefasst ist es so, dass Tom Cruise und ein paar andere Tough Guys an einer Fliegerschule das fliegerische Kriegshandwerk in Bestform erlernen und anwenden. Zwischendurch gibt es mehrere Bro-Geschichten, die auch wieder in Teil Zwei aufgenommen werden und eine Liebesschmonzette nach ganz klassischen Prinzipien. Mann, Frau, es ist kompliziert, da sie seine Ausbilderin ist, aber am Ende wird fast alles gut. In einem Cameo-Auftritt in einem Film eines anderen Regisseurs hat Quentin Tarantino jedoch eine ganz andere Deutung der Story und sieht hier eine versteckte homo-erotische Story und wenn man diese wenigen Minuten Monolog gesehen hat, kann man den ersten Teil von „Top Gun“ wahrscheinlich nicht mehr ganz objektiv ohne diesen Subtext sehen. Was man aber für „Top Gun: Maverick“ wissen sollte, ist die Tatsache, dass Maverick seinen Freund und Mitflieger „Goose“ Bradshaw während eines seiner waghalsigen Luftmanöver verloren hat. Was man noch nebenbei wissen kann, aber für Teil Zwei nicht braucht: Die Frau von Goose wiederum wurde von einer gewissen Meg Ryan gespielt. Denn „Top Gun“ war nicht nur der Durchbruch für Tom Cruise, sondern auch ein Karriere-Boost für Meg Ryan und vor allem für Val Kilmer, der den „Iceman“ spielt. Iceman ist zuerst der Antagonist zu Maverick und beide liefern sich nicht immer nur verbal heftige Duelle. Nach dem ernsten Luftkampf – gegen einen, wie auch in Teil Zwei, praktischerweise anonymen Feind – am Ende finden aber auch die beiden zusammen. Was sich dann in der Fortsetzung für Maverick als Glücksfall ergeben wird.
Über den Wolken – Soundtrack, Flugzeuge und Lifestyle
Wenn aber ein Film einen solch einfachen Plot hat, wie konnte er denn so erfolgreich werden? Vielleicht liegt die Antwort darin, dass die wahren Stars des Films nicht so sehr die Schauspieler*Innen sind. Vielmehr sind es die Flugzeuge selbst und das Ganze drumherum. Mit unserem Studienfreund Jan war einer von uns mal bei der ILA, der internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung. Das ist nach eigener Angabe die „bedeutendste Fachmesse der Luft- und Raumfahrtindustrie Deutschlands“. Aber eigentlich ist es eine Heerschau (bzw. eine Luftschau) der Bundeswehr. Highlights sind hier aber auch immer, wenn amerikanische Kampfflugzeuge der Nato-Verbündeten den Berlin-Brandenburger Himmel durchpflügen. „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“, hat man unweigerlich im Kopf. Auch das ist eine anziehende Faszination, die man als aufgeklärter Mensch eigentlich ablehnen müsste. Aber wenn man dazu einen Film macht und dabei auch noch einen Soundtrack abliefert, der auch heute noch mehr als hörenswert ist, wie kann man sich dem entziehen?
Hier sind nämlich nicht nur die Klassiker „Danger Zone“ von Kenny Logins oder „Take my Breathe away“ versammelt, es finden sich auch der Otis-Redding-Hit „The Dock oft the Bay“ und „Great Balls of Fire“ von Jerry Lee Lewis, im Film gespielt von Goose am Klavier in der Strandbar, die den sozialen Mittelpunkt in beiden Filmen darstellt. Und natürlich das Top Gun-Theme, welches auch im zweiten Teil zentral ist. Da der Soundtrack auch zum zweiten Teil – bis auf einen neuen Hit von Lady Gaga – kaum verändert wurde, fühlt man sich beim Hören sofort in die 80er per Schleudersitz zurückversetzt.
Unsere Gruppe heißt bekanntermaßen „NurBestesArthouseKino“ und da „Top Gun_ Maverick“ tatsächlich auch beim Filmfestival in Cannes – dem wichtigsten Arthouse-Festival der Welt – lief und Tom Cruise dort einen Ehrentitel zur Rettung des Kinos bekam, freuen wir uns umso mehr, Euch unsere cineastischen Eindrücke zu schildern:
Take-off!
Was für eine Aussicht, Baby, was für eine grandiose Perspektive auf das sonnige Kalifornien, den Himmel, überkompetente Superhelden in Uniform und seelenlose Bösewichter, die US Navy in all ihrer Pracht und das nicht besonders schwer auszuleuchtende Innenleben des Protagonisten: schon in den ersten Minuten drückt Dich dieser Film in den Fliegersitz, Verzeihung, Kinosessel mit all seinen blendenden Totalperspektiven, detailverliebten Aufnahmen von Menschen und Jets und der unzweifelhaften Botschaft: Das hier geht nicht schief. Das hier ist Top Gun. Die Besten der Besten.
Mach 1!
Der Besteste der Besten der Besten (hier passt auch für die Interessierten eine Wrestling-Reminiszenz: The Best there is. The Best there was and The Best there ever will be!), Tom Cruise a.k.a. Maverick, ist unzweifelhaft die Maschine, die dieses Ding von der ersten Sekunde an am Laufen hält und unerbittlich gen Horizont presst. Ein hochgradig entzündliches Gemisch aus achtziger Jahre-Charme, Colgate- blendendem Dauerstrahlen und dem Wissen um die eigenen, unfassbar guten Flugkünste treibt dieses Pilotenass dabei an, sich nicht nur mit einem namenlosen, urananreichernden Schurkenstaat samt hochtechnisierten Kampfflugzeugen der fünften Generation anzulegen, sondern sich auch seinen inneren Dämonen zu stellen und, quasi im Vorbeiflug, auch seine große, alte Liebe Jennifer Conelly a.k.a. Penny mit der ins grinsende Pilotengesicht gehämmerten Selbstverliebtheit zu verzaubern.
Mach 3!
So alt wie diese Liebe wirken auch das Set, die Besetzung, überhaupt die ganze Idee, was dieser Film sein will. Zwei Gruppen Flugschüler*Innen (ja, es sind auch Frauen dabei!), die charakterlich dermaßen glattgeschliffen sind, dass es beim Zuschauen fast schon wehtut, sollen sich erst im Wettstreit untereinander beweisen, um anschließend dem bösen namenlosen Schurkenstaat per zwei Flieger á zwei Rotten-Luftangriff in den Hintern zu treten. Geschenkt, dass diese Aufteilung völlig willkürlich ist; geschenkt, dass ein Wettstreit unter sehr guten und fast genauso guten Piloten so langweilig ist, wie Gras beim Wachsen zuzusehen. Natürlich sind da der ehrgeizige, rücksichtslose Glen Powell, der eher vorsichtige Miles Teller, der in der Trottel-Rolle festgenagelte Danny Ramirez oder die toughe Monica Barbaro, aber die charakterliche Unterscheidbarkeit dieser Top Gun- Generation liegt in etwa bei der Unterscheidbarkeit eines Ausmalbuchs für Fünfjährige (hey, nichts gegen Kinder- Ausmalbücher, die sind super). Wichtiger ist aber, und deshalb sieht die Top Gun- Besetzung vermutlich auch so aus, wie sie aussieht: Tom Cruise ist spitze!
Mach 5! Los schneller!
Worum geht’s nochmal? Genau, Urananreicherung, mitten in einem topografisch geradezu absurd situierten, vulkankrater-ähnlichen Felsmassiv, gespickt mit dutzenden SAM-Raketen und, hatten wir es schon erwähnt, betrieben von einem namenlosen Schurkenstaat? Sofern das Ding nicht Onkel Sam gehört, muss es vom Antlitz dieser Erde getilgt werden, und genau dazu brechen die Top Guns nach einigen Übungsflügen denn auch auf. Praktischerweise sind die Begriffe „Star Wars“, „Todesstern“ und „X-Wing“ in besagtem namenlosen Schurkenstaat völlig unbekannt, weshalb bei der Errichtung dieser zig Fantastilliarden teuren Einrichtung anscheinend niemandem der Canyon aufgefallen ist, der sich nicht nur bis vor die Haustür der Anlage bzw. bis zu ihrem Lüftungsschacht schlängelt, sondern der auch eine hervorragende Anflugschneise für die bombenden Asse aus Fighter City darstellt. Oder vielleicht ist es auch jemandem aufgefallen, aber niemand konnte damit rechnen, dass ein tollkühner und todesmutiger Pilot wie Maverick samt seiner Schleppe aus subordinierten und vergleichsweise minderbegabten Pilotenkumpels nach drei Runden durch die kalifornische Pampa dazu in der Lage sind, alles zu erreichen, was nicht bei drei auf den Bäumen bzw. an einem geografisch deutlich sinnvoller als eben diese Urananreichungsanlage gelegenen Ort ist. Nach dem Wartungsschacht (hat da jemand die Abdeckung vergessen?), pardon, Canyon, folgen im Finale sodann ein wahnwitziger Steilflug, gefolgt von einem wahnwitzigen Sturzflug, einem erneuten wahnwitzigen Steilflug und einem Tänzchen mit zig SAM-Raketenwerfern, deren Bedienmannschaften offenbar dieselben Zielübungen wie die imperialen Sturmtruppen aus Star Wars absolviert haben, sowie ein Luftkampf mit den Kampfflugzeugen der Bösen. Spoiler: Keiner von denen ist Maverick, deshalb überlebt keiner von Ihnen. Maverick und seine Top Guns hingegen bestehen diesen Run nicht nur mit Bravour, sondern spazieren in Person von Rooster und Maverick himself auch noch mitten in eine feindliche Basis und stehlen eine altersschwache F-14, um zurück zu ihrem Flugzeugträger zu gelangen. In diesem Handlungsstrang bieten sich, feinsäuberlich und wie auf einer Perlenkette aufgereiht, zahllose Gelegenheiten, entweder herzhaft in die nächstbeste Tischkante zu beißen, oder sich die Fliegerbrille aufzusetzen und ein eisgekühltes Getränk der Wahl zu öffnen und Schwerkraft wie auch Logik schallend auszulachen. Wir empfehlen Letzteres!
Mach 7! Ich geb alles!
Um die Top Guns zu all dem zu befähigen, geht es nicht in erster Linie um Leistung und Skills– klar, gut sind sie ja ohnehin schon, aber was es jetzt braucht, ist vor allem Teamgeist sowie die unausweichliche Einsicht, dass eben niemand auch nur annähernd so gut fliegen wird wie Maverick. Deshalb dürfen sich alle in ihre Badeanzüge und Unterhosen werfen und an einem kalifornischen Strand ihre gebräunten und gestählten Körper beim Football so hart präsentieren, dass man sich unwillkürlich fragt, warum eigentlich The Hoff nicht mitspielen und mitfliegen durfte. Aber so läuft nunmal echtes Teambuilding, nach einer gefühlten halben Stunde ist die Gruppe zusammengewachsen wie siamesische Viellinge und folgt ihrem Mentor erst auf einen Flugzeugträger und dann an den Rand der Welt, um diese Multi-Million-Dollar- Investition der Navy – wir meinen sowohl die Flugzeuge als auch den Film – sicher ins Ziel zu bringen.
Mach 9! Crazy shit, ich hör nicht auf!
Warum aber ist Maverick so gut? Das bleibt das Geheimnis des Films, und um uns alle daran teilhaben zu lassen, sitzen wir in unzähligen Cockpiteinstellungen und Flügelkameras mit an Bord oder knapp daneben, folgen ihm bei seinen wahnwitzigen Flugmanövern und bekommen so nicht nur großartige Kameraeinstellungen, sondern tatsächlich unterhaltsames Popcornkino serviert. Der Film funktioniert dort, wo auch die Flugzeuge samt Piloten funktionieren: in der Luft, und dort macht es wirklich Spaß, den Hochgeschwindigkeits-Assen über die Schulter zu schauen und ihnen bei ihrer Auftragserfüllung samt obligatorisch brenzliger Luftkämpfe zu folgen. Am Boden hingegen sind nicht nur die Top Guns lame ducks, sondern auch die Passagen, die dem Film erkennbar Seele geben sollten, aber doch nur fehlplatziertes Füllmaterial sind. Maverick und Penny kommen sich erwartbarerweise näher, Maverick und Val Kilmer a.k.a. Iceman haben ein Wiedersehen und begegnen mit wenigen Worten und bedeutungsschweren Blicken Icemans schwerer Erkrankung, die im Übrigen auch den echten Val Kilmer traf, Maverick legt sich mit den versammelten Konteradmirälen der US Navy an. Maverick arbeitet sein durch den im Vorgängerstreifen zu Tode gekommenen Wingman Goose verursachtes Trauma auf, indem er dessen zögerlichen Sohn Rooster nicht nur ausbildet, sondern uns Zuschauenden auch verklickert, dass Roosters Antipathie gegen Maverick aus der Vereitelung einer Laufbahn an der Marineakademie herrührt. Natürlich ist diese auf Bitten von Roosters Mutter nur entstanden, um ihren Sohn zu schützen – so moralisch sauber und über alle Hindernisse triumphierend kann eben nur Maverick sein. Was ihn aber nicht davor schützt, im mittleren Filmteil erstmal mit Dackelblick bzw. PTBS-Starren vor der Navy- Bar zu stehen und zu realisieren, dass auch ein Flieger-Ass manchmal eine harte Zeit hat
Mach 10! Zünde die Nachbrenner, ich scheiß auf die Physik!
Natürlich hätte man dem Protagonisten etwas mehr von dieser harten, weil charakterbildenden Zeit gewünscht, ebenso wie man dem Film etwas weniger plumpes Navy- Händchenhalten, wenigstens einen Hauch Tiefgang bei Inhalt wie auch Charakterentwicklung und Psychologie gewünscht hätte. Aber dieser Film ist wie ein Luftkampf: Nicht Nachdenken!, das ruft Maverick nicht nur in Richtung Rooster, sondern auch an die Zuschauer gewandt, und für das unbeschadete Überstehen waghalsiger Luftkämpfe wie auch dieses voraussichtlich schnell alternden Streifens möchte man Tom Cruise ausdrücklich beipflichten. Klar, denn er ist schließlich Maverick.
Fazit: …und ein sozialkritisches Schlagzeugsolo später
Am Ende bleibt: Wir hatten einen guten, vielleicht sogar sehr guten Kino-Abend, ohne danach über die realen Probleme der Welt räsonieren zu müssen. Das ist zweifelsohne eine echte Stärke und wir empfehlen, in jedem Fall, das Cockpit bzw. den Kinositz schnell aufzusuchen. Denn eins kann man diesem Film in jedem Fall nicht absprechen: Dieser Film ist ein echter Kinofilm! Selbst im professionellsten Heimkino wird er nicht so wirken, wie auf großer Leinwand. Maverick hat es mal wieder allen gezeigt!
Michael "Data" Fürstenberg, Robert "Falcon(see)" Spiller und Anis "Grumpy" Ben-Rhouma
Top Gun: