Arbeitslieder Teil 1
Das Wort, das die Deutschen lieben, hat 6 Buchstaben und nicht 7!
Eine popkulturelle Annäherung an das Arbeiter*Innenlied
„Wo man singet, da laß dich ruhig nieder, ohne Furcht was man im Lande glaubt; wo man singet, wird kein Mensch beraubt, böse Menschen haben keine Lieder.“
Diese Worte des Schriftstellers und Dichters Johann Gottfried Seume dürften jedem schon einmal über den Weg gekommen sein. Interessant wird es aber für das hier besprochene Thema, wenn man sich den ganzen Text des vertonten Gedichts dazu anschaut. In der 9. Strophe heißt es: „Des Gesanges Seelenleitung bringet jede Last der Arbeit schneller heim, mächtig vorwärts geht der Tugend Keim; weh' dem Lande, wo man nicht mehr singet!“
Seume starb bereits im Jahr 1810 und dürfte rein historisch und biographisch gesehen die Anfänge der deutschen Arbeiterbewegung nicht mehr erlebt haben. Dennoch bezieht er sich hier auch auf den Komplex Arbeit, der seit jeher zum Menschen dazu gehört. Genau wie das Singen und Musizieren.
In der aufkommenden Arbeiterbewegung der etwas nachgelagerten industriellen Revolution im Deutschland des 19. Jahrhunderts spielten Lieder eine zentrale Rolle. „Die Internationale“, „Brüder zur Sonne, zur Freiheit“ und später dann „Die Moorsoldaten“ sowie der gesamte Kanon von Bertolt Brecht – wie beispielsweise „Vorwärts und nicht vergessen“ – prägten die Arbeiterbewegung zutiefst, gaben Zusammenhalt und motivierten zum Kampf für Gerechtigkeit, Solidarität und Respekt. Neben dem zentralen Wert von Arbeit prägte dabei insbesondere auch der Antifaschismus die Geschichte der Arbeiterbewegung.
Das bekannteste Lied ist hierbei natürlich „Bella Ciao“. Der Song der italienischen Widerstandsbewegung gegen den Faschismus entwickelte sich zur weltweiten Hymne gegen alle faschistischen Systeme der Welt. Wer sich mit dem Text beschäftigt und das Lied jemals gemeinsam in der Gruppe mitgesungen oder zumindest gemeinsam gesummt hat, der wird wissen, welche emotionale Stärke dieser Song hat. Für Deutschland muss dabei unbedingt noch der „Marsch der Eisernen Front“ der deutschen Widerstandbewegung, aus der Arbeiter*Innenbewegung, die sich gegen das Nazi-Regime stemmte, genannt werden. Viele von ihnen bezahlten dafür mit ihren Leben.
Angesichts dieser großen Tradition wollen wir hier das Ganze natürlich nicht moralisch-historisch aufladen, stellen uns aber schon die Frage: Was kann man eigentlich heute auch noch an modernen Arbeiter*Innenliedern singen? Es folgen ein paar Vorschläge.
Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen – Eine Arbeitsband
Die zentrale Arbeitsband in Deutschland ist zurzeit für mich die Liga der gewöhnlichen Gentlemen aus Hamburg. Zu ihrem aktuellen Album habe ich bereits was geschrieben. Aber auch in den älteren Platten dreht sich der Liga-Kosmos immer wieder um Arbeit oder vielmehr die Liga-Definition von Arbeit. So ist es sicher auch irgendwie „Arbeit“, einen Pfandflaschen-Automaten so zu manipulieren, dass man betrügerischer Weise damit jede Menge Kohle machen kann, wie im „Großen Kölner Pfandflaschenbetrug“ beschrieben. In „Die Gentlemen-Spieler“ wird die Herkunftsgeschichte des Fußballs besprochen – für manche heute auch irgendwie Arbeit. Und in „Kennst Du Werner Enke“ setzt man sich mit dem deutschen Filmbusiness auseinander. Der Protagonist des Songs spielt dann auch gleich die Hauptrolle im zentralen Arbeitssong „Arbeit ist ein Sechsbuchstabenwort“.
Die Liga weiß: „Das Wort, das die Deutschen lieben, hat sechs Buchstaben und nicht sieben!“. Und so findet man auch bei den aktuelleren Sachen Songs zum Thema Arbeit oder besser gesagt, den besonderen ironischen Umgang der Liga damit. „Später kommen, früher gehen“, „Ferien für immer“ oder die Aktualität des „Feiertagsdilemmas“ zeigen die Themen des Arbeitslebens eher aus der Perspektive derer auf, die die Arbeit machen, nicht die derer, die sie „anbieten“. Dass der 1. Mai dieses Jahr ein Samstag war und der 3. Oktober ein Sonntag, zeigt, wie wichtig insbesondere die Forderung im letzten Song ist. Nächstes Jahr ist der 1. Mai ja dann ein Sonntag. Es gibt also noch Möglichkeiten, auf die Forderungen der Arbeitsband einzugehen!
Deutschpunk und Arbeit – eine Hassbeziehung mit Gemeinsamkeiten
Wenn man in Jenre-Grenzen denken will, ist die Vorgängerband der Liga „Superpunk“ eine Punkband. Steht ja auch schon im Bandnamen. Auch die haben mit „Man kann einen ehrlichen Mann nicht auf seine Knie zwingen!“ bereits einen zentralen Arbeitssong gemacht. Und auch andere Punkbands in Deutschland haben sich kritisch mit Arbeit auseinandergesetzt. Natürlich eher abweisend, denn zentrale DNA im Punk ist natürlich die Arbeit, bzw. das, was Punk für Arbeit hält, abzulehnen. Ganz bezeichnend dafür ist „Arbeit sein muss bleibt“ von der Berliner Terrorgruppe, die in ihrer ganz eigenen Weg Art höhnisch über Industriearbeiter*Innen herzieht. Am Ende fordern sie, dass sich die Arbeiter*Innen lieber Stromgitarren umhängen sollen, als zu arbeiten. Dazu zwei Dinge: Erstens kann nicht jeder durch Musik Geld verdienen und zweitens ist Gitarrenarbeit der Terrorgruppe ja auch irgendwie Arbeit, um über die Runden zu kommen. Vielleicht etwas netter, aber sicher auch anstrengend. Aber natürlich gehört die klare Ablehnung von Erwerbsarbeit zum Image von Punk wie das Dissen zum Rap. Da will man nichts anderes auch mit den eigenen Songs abbilden. Es geht aber auch anders.
Durchaus kritischer und selbstreflektierter mit dem Thema Arbeit setzen sich zum Beispiel Bands wie Turbostaat oder Muff Potter auseinander. In „Schwienholt“ von Turbostaat singen die Flensburger (oder Husumer. Verdammt!) „auch ein Förderband könnte Regale leicht befüllen Das war es jetzt?“ und gehen so auf die Entwertung von Arbeit durch Maschinen ein. Der Sänger der Münsteraner Band Muff Potter Thorsten Nagelschmidt hat sogar ein Buch mit dem Titel „Arbeit“ geschrieben, nachdem seine Band schon ganz früh das Thema mit dem Song „Geh mal arbeiten“ für sich gesetzt hat.
Klar ist aber, dass der Punk und insbesondere wohl der Deutschpunk naturgemäß eher ein ambivalentes Verhältnis zur Arbeiter*Innenbewegung hat. Und über Umwelt und Klima haben wir dabei noch gar nicht gesprochen. Dennoch gibt es eine große Gemeinsamkeit, die sich zu erwähnen lohnt: Die gemeinsame Ablehnung von jeglichem Faschismus und von Fremdenfeindlichkeit. So ist man schon irgendwie gemeinsam im Antifa-Fanclub, wie die Hamburger Ska-Punks von Rantanplan singen.
A new England – Die Geburtsinsel der Arbeiter*Innenbewegung
Rantanplan haben auf einer ihrer früheren Platte ihre eigene Version von Billy Braggs „A new England“ eingespielt und daher lassen sich musikhistorisch hier in Bezug auf die Arbeiter*Innenbewegung auch zwei große Parallelen ziehen. Punk kam aus Großbritannien und die Arbeiter*Innenbewegung“ auch. Und beides etwas verzögert.
Ich bin kein großer Freund der Sex Pistols, verehre aber dabei ihre Zeitgenossen von The Clash umso mehr. In dem breiten Spektrum der Band spielen die gesellschaftlichen Umbrüche Großbritanniens eine zentrale Rolle. So auch das Thema Arbeit und ganz besonders die Möglichkeiten von Menschen im Arbeitsleben wie prominent in „Career Opportunities“ besungen. Frontmann Joe Strummer ist nach Auflösung der Band auch solo unterwegs gewesen und hat sich einen Namen gemacht. Eine Biographie über ihn trägt den bezeichnenden Titel: „Punkrock Warlord: The Life and Work of Joe Strummer“. Punk ist dann also doch irgendwie Arbeit. Und Arbeiter*Innen singen „Songs of freedom“ wie Strummer im Bob Marley-Cover „Redemption Song“.
Wirklich zentral und die Hauptfigur für die Arbeitslieder der britischen Arbeiterbewegung ist aber der „Milkman of human Kindness“: Der unermüdliche Barde Billy Bragg, dem – im Gegensatz zum gallischen Kollegen Troubadix – nicht nur die britische Arbeiter*Innenbewegung zuhört. Mit seinen zahlreichen Songs und seinem Engagement für die Gewerkschaftsbewegung und die Labour Party genießt er weltweites Ansehen. Bei Braggs Werk weiß man nicht, wo man anfangen soll und sicher auch nicht wo man aufhören kann. Zur Übersicht empfiehlt sich die 2019 erschienene Sammlung „Best of Billy Bragg at the BBC“. Der Meister selbst schreibt darauf: „And here I´ve collected all the best moments across 36 years of my ongoing work in progress“. Wenn Ihr wirklich nur einen Künstler zum Thema hören wollt oder könnt, dann hört Billy Bragg! Und wenn Ihr nur einen Song hören mögt, hört „There is Power in a Union“!
Hier geht es zu Teil 2.