Man lebt nur zweimal oder Sag niemals nie? 

Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen bleibt mit "Geschichterln aus dem Park" weiter auf außergewöhnlichem Kurs.

 

Man stelle sich folgendes Szenario vor: Unser Jenser (Jens Spahn) schickt seinen Adlatus Fips (Philipp Amthor) los, eine Wunderwaffe gegen die Folgen der Pandemie zu finden. Lethargie, Frustration, Trauer und Wut sind nach über 1,5 Jahren Corona-Modus in der Welt an der Tagesordnung. Dann hat Fips plötzlich eine brillante Idee: Eine Band finden, die genau das Album produziert, das den Schmerz lindert und die Menschen endlich wieder fröhlich macht. Und vor allem sollte dieses Album nichts mit Corona zu tun haben. Wenn Fips etwas weniger Helene Fischer hören würde und ein wenig mehr recherchiert, wäre er sehr schnell bei den Hamburgern von Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen (DLDGG). Mit einem wahrhaft beachtlichen Veröffentlichungskatalog und zahlreichen Livekonzerten haben sie die letzten Jahre bewiesen, dass sie wirklich Menschen glücklich machen können. Warum daher nicht mal was Neues versuchen?

 

Vielleicht hätten Jenser und Fips aber auch vorher schon den auf einem Comic basierenden Film gesehen, der Pate für den Bandnamen steht: „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ aus dem Jahr 2003 mit Sean Connery in der Hauptrolle. Gleichzeitig der letzte Film des Schotten, der natürlich mit einer anderen Rolle Berühmtheit erlangt hat (dazu später mehr), sich aber in der zweiten Hälfte seines Schauspielerdaseins mit Actionfilmen (Highlander, Jagd auf Roter Oktober, Robin Hood-König der Diebe, Indiana Jones und der letzte Kreuzzug, The Rock usw.) einem noch größerem Publikum bekannt machen konnte und leider im letzten Jahr verstarb. Auch eine sehr traurige Nachricht aus 2020.

 

Die Story des Films ist recht simpel und eine klassische Superheldengeschichte – weit bevor es das Marvel Cinematic Universe überhaupt gab. Allan Quatermain (Sean Connery) erhält vermeintlich den Auftrag der britischen Regierung, eine Superheldentruppe zusammenzustellen, um die Menschheit im Jahr 1899 vor einem Weltkrieg zu bewahren. Kurz vorweg: Es klappt. 

 

Ungefähr 100 Jahre später erwirbt sich die Band Superpunk einen formidablen Ruf in der Independent-Szene, spielt mehrere Gassenhauer ein und reist die Republik in zahlreichen kleineren Clubs ab. Angekommen im neuen Jahrtausend löst sich die Kultband irgendwann auf. Dann stellt sich Frontmann Carsten Friedrichs jedoch eine neue Superheldentruppe zusammen. DLDGG sind geboren und bringen im Jahr 2012 erst eine Single und dann ein ganzes Album heraus. Es folgen noch vier weitere eigene Alben, Singles, EPs und eine Beteiligung am Album „Aus der Biliotheque“ von Andreas Dorau, vormals bekannt mit dem Hit „Fred vom Jupiter“. Dann kam die Pandemie. Für eine Band, die hauptsächlich von ihren Live-Auftritten lebt, ein tiefer Nierentiefschlag. Im Nachhinein stellt sich der Titel der 2019 erschienen Platte „Fuck Dance, let´s Art!“ leider als gutes Motto für diese Zeit dar. 

 

Im letzten Sommer 2020 konnte die Band bereits mit der Single „Ferien für immer“ sowie dem Side-Projekt des Sängers mit dem Namen Carsten & Carsten und der Single „Ich mag Leute“ verzücken. Echte Highlights im letzten Jahr und da gab es für uns alle nicht so viele von. So war das Naheliegende offensichtlich: Mehr davon!

 

Im zweiten Pandemie-Sommer 2021 erscheint dann jetzt das neue DLDGG-Album „Geschichterln aus dem Park Cafe“ und beim ersten Hören macht sich irgendwie doch der Eindruck breit, dass sich das Album schon toll anhört, aber erstmal nicht wirklich was Neues bringt. Hört sich irgendwie ganz klassisch wie ein normales DLDGG-Album an. Gut, es gibt andere Bands wie ACDC oder die Ramones, deren Alben immer gleich klingen und dennoch etwas Erfolg hatten damit. Aber von Superhelden erwartet man doch etwas mehr, als „Es ist nett, zu sein“, so der Titel der vorab veröffentlichten Single. Auch das parallel zum Album erschienene Video zu „Yo, Zwanie!“, eine Hommage an den ehemaligen Drummer, erinnert doch irgendwie an einen Remix alter DLDGG-Hits. Da muss doch mehr kommen im Angesicht einer weltweiten Pandemie!

 

Beim zweiten oder dritten Hören kommt es dann doch auf, das Gefühl, das ein wohliges Bauchwippen und ein verschmitztes Grinsen hervorbringt. Auf der ersten Seite hört man sich von „Houston, wir haben kein Problem“, über „Männer mit schönen Haaren“ zum ersten Hit der Platte: „Kilo Shop Mod Tip Top“ ist eine Huldigung von Second Hand Shops, in denen man kiloweise Klamotten kaufen kann, die stylish sind und mit denen man auch seine Anti-Establishment-Haltung mit wenig Geld, aber modebewusst aufzeigen kann. Schöner Song und eine tolle Erinnerung. Mit Erinnerungen hat es die Band auch irgendwie – teilweise mit etwas geschichtsklitternden. 

Wer das Jahr 2020 wirklich als „Das erotische Jahr“ zu Beginn von Seite 2 bezeichnet, muss schon eine sehr starke innere Resilienz aufweisen – oder möglicherweise Halluzinationen haben. Ein ganz besonderes Verhältnis zur Arbeit weisen DLDGG spätestens mit dem Song „Arbeit ist ein Sechsbuchstabenwort“ vom Album mit dem brillanten Titel „Rüttel mal am Käfig, die Affen sollen was machen!“ aus dem Jahr 2016 auf. Mit „Später kommen, früher gehen“ führen sie die Geschichte fort. Wobei die Frage berechtigt ist, was das Motto eigentlich für das Home-Office bedeutet? 

 

„Ferien für immer“, die Single aus dem letzten Jahr, ist auf dieser Seite tatsächlich auch immer noch der Hit. Ein Evergreen, der sofort an Strand, kalte Getränke an der Hotelbar und Sonnenmilch erinnert. „Rebekka will ihr Rad zurück“ klingt sehr stark nach den alten Superpunk, was wahrlich nichts Schlechtes ist und das Ende mit „Cheer UP (You´re on Holidays)“ hat ein wunderbar passendes Motto zur Situation: „Ich will tanzen, mich verschanzen. Aber Manchester ist weit“. Diese Band muss man live sehen und hören, um die Vibes der Songs wirklich zu spüren. Live kommen auch die Instrumental-Songs, von denen es zwei auf die Platte geschafft haben, sicher weitaus besser an als auf dem Plattenteller. Hoffentlich ist es bald soweit, dass sie wieder die kleinen und mittleren Clubs zum Beben und Mitwippen bringen! 

 

Fazit – Und ein sozialkritisches Schlagzeugsolo später

 

Achtung Spoiler-Warnung! In dem Film „Die Liga der Außergewöhnlichen Gentlemen“ sind die beiden Männer, die eine Superheldentruppe rekrutieren, keine Vorwegnahme des integren Nick Fury aus den Avengers. Sie sind selbst die Anführer einer Verbrecherorganisation, die zwar nicht selbst die Welt beherrschen will, aber zumindest von ihrem Zerfall profitieren möchte. Das würde ich vom Jenser, seinem Fips und ihrer Organisation natürlich nie behaupten, aber möge sich da jeder selbst sein Bild bilden. Wir leben schließlich in einem freien Land. 

 

In Bezug auf die hier besprochene DLDGG liegt aber vielleicht doch ein anderer Vergleich nahe. Sean Connery ist natürlich als James Bond bekannt geworden. Auf „Fuck Dance, let´s Art!“ sind gleich zwei Songs zu finden, die als Reminiszenz an diese Filmfigur herhalten können: „Der glückliche Spion“ und vor allem „Der letzte große Bohemien“. Bond ist hedonistisch, teilweise selbstironisch und rettet am Ende immer die Welt. Das lässt nicht eins zu eins auf DLDGG übertragen, aber mit ihr ist die Welt schon etwas angenehmer. Gut, dass es nach der Vorgängerband Superpunk getreu dem Motto „Man lebt nur zweimal“ mit DLDDG weiterging. Ob sie wie Bond in „Sag niemals nie“ dafür auch extra in ein Sanatorium mussten, ist nicht bekannt. Aber der Titel vom Album „It´s OK to love DLDGG“ lässt sich ohne Weiteres auch nach „Geschiterln aus dem Park“ als Motto für diese Band unterstreichen. Mehr als OK sogar.