Diese wunderbare Platte eröffnet mit dem uns allseits bekannten
Prince Adam/He-Man ist eine „kräftige Schwester mit Make-Up gegen die Angst“
Achtung: Diese Kritik zu „Masters oft the Universe: Revelation“ könnte provozieren.
Nach Hören der Titelmusik zur 80er Jahre Serie der „Masters of the Universe“ (In Deutschland auch als „He-Man: Im Tal der Macht bekannt“) hat man das dringende Bedürfnis, bei den Eltern im Keller oder auf dem Dachboden nach den alten „Masters“-Figuren aus der Kindheit nachzuschauen. Wenn man Glück hat, wurden sie nicht verkauft, verschenkt oder einfach verschrottet und der alte, irgendwie etwas modrige Gummi-Geruch kommt sofort wieder hoch – und die Erinnerungen.
Die „Masters of the Universe“ waren ein Phänomen unserer Jugend. Die Spielzeug-Firma Mattel brachte Anfang der 80er Jahre ein Spielzeug auf den Markt, was den alten Kampf Gut gegen Böse in ein Paralleluniversum mit dem Planeten Eternia als Zentrum in den Mittelpunkt stellte. An sich nichts Neues, so war „Krieg der Sterne“ bereits fest etabliert, „Das Imperium schlägt zurück“ wurde zum Nachfolger und „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ war kurz vorm Start. Auch die Star Wars-Spielzeugfiguren lagen schon mehrere Jahre unter den Weihnachtsbäumen der westlichen Welt. Nur hatte Mattel hier keine Rechte dran, wie in der Netflix-Serie „Spielzeug – Das war unsere Kindheit“ in den Folgen zu „Star Wars“ und eben den „Masters“ berichtet wird (vielleicht ist die englischsprachige Syncro von Bösewicht Skeletor in der neuen Serie eine kleine verspätete Rache daran: Er wird von Mark Hamill gesprochen!). Etwas Anderes musste also schnell her.
Und da Mattel zwar die Rechte an „Conan – Der Barbar“ hatte, diesen aber als zu brutal empfand, wurden die „Masters of the Universe“ geschaffen. Damit hier kein Verdacht eines Plagiats aufkommt (soll gerade in der Politik großes Thema sein), sei an dieser Stelle erwähnt, dass auch diese Info aus der entsprechenden Netflix-Doku stammt. Fakt ist, dass die „Masters of the Universe“ ein Produkt der Spielzeugindustrie sind. Es ist Mattel dabei gelungen – ausgehend von einem Spielzeug, das verkauft werden will – ein ganzes Franchise aufzubauen. Das ist bisher und auch nur so ein bisschen mit „GI Joe“ gelungen – und bei den „Transformers“. Hörspiele, ein Film, über den hier vollkommen zurecht nicht einmal in Ansätzen gesprochen wird, und vor allen Dingen Serien prägten den „He-Man“-Kosmos. Mit „Masters of the Universe: Revelation“ versuchen Netflix und Mattel nun, einerseits an diese alten Erfolge anzuknüpfen, das „Masters“-Universum dabei aber auch zu modernisieren. Veränderungen gegenüber dem Status Quo sind bei einem Teil der Fanbase allerdings bekanntlich wenig populär und so folgte auch auf die „He-Man“-Neuauflage der hysterische Vorwurf an Showrunner Kevin Smith, dieser habe einem „die Kindheit zerstört!!!“.
Achtung: Heftiger Spoiler!
Um die heftige Kritik aus der vermeintlichen Community in Ansätzen zu verstehen, sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass die Macher der Serie sich wirklich was getraut haben. Gleich in der ersten Folge der bisher fünf Folgen umfassenden Serie werden nach einem abermaligen Versuch von Bösewicht Skeletor – He-Mans Counterpart – das sagenumwobene Castle Greyskull zu erobern, He-Man und auch Skeletor einfach abgemurkst. Nach dem Tod von Ned Stark am Ende von Staffel 1 in „Game of Thrones“ gab es keinen gravierenderen Einschnitt in den Serien unserer Zeit. Prinzessin Teela wird damit zur Hauptfigur der Serie, findet Prince Adam, der eigentlich He-Man ist und sich mit der Macht des Zauberschwerts in eben diesen verwandelt, nach einer kleinen Odyssee mit Altbekannten wieder, nur, damit er, kurz bevor er sich wieder in He-Man verwandelt, nochmal gekillt wird. Was für eine mutige und bemerkenswerte Storyline!
Hallöchen! Was ist los?
In der Serie tauchen alle unsere bekannten und liebgewonnen Figuren aus der Kindheit wieder auf: Adam/He-Man, Man-At-Arms, Prinzessin Teela, Cringer/Battle Cat, Adams Eltern und auch Orko, der im Verlauf der Serie einen echten Gandalf-Moment hat, bringen uns zusammen mit vielen Fahrzeugen, Burgen, Tieren und Landschaften zurück in die 80er. Auch die dunkle Seite ist gut vertreten. Zu Beginn allein angeführt von Skeletor sind Evil-Lyn, Beast-Man, Trap-Jaw, Stinkor, Tri-Klops und viele andere drauf und dran, die Helden alle zu machen. Allerdings wird das in der ersten Folge angedeutete altbekannte Muster „Skeletor entwickelt mit seinen Schergen einen fiesen (oftmals auch einigermaßen dämlichen) Plan, aber scheitert kläglich“ schnell aufgebrochen, denn nicht nur ist He-Man verschwunden, sondern auch die das ganze Universum tragende magische Kraft droht zu versiegen – Eternia wird quasi in ein Endzeitszenario geworfen, das der Serie den nötigen Raum zur Entfaltung gibt. Dieser Trick ringt den etablierten Figuren neue Seiten und teilweise erstaunliche charakterliche Tiefe ab – die Show stehlen hier vor allem Evil-Lynn und Orko. In einer Art Allstar-Team müssen sich nämlich alte Helden und Bösewichter im gemeinsamen Interesse zunächst verbünden, um Eternia zu retten und zu verhindern, dass ausgerechnet der bisherige Bad Guy-Sidekick Tri-Klops mit seiner Robotik-Sekte die Macht von Grayskull endgültig vernichtet. Anspielungen auf aktuelle terroristische Organisationen inklusive.
Im Mittelpunkt der Serie steht Prinzessin Teela, die vollkommen ohne Superkräfte auskommende Ziehtochter von Waffenmeister Man-At-Arms und Anführerin der königlichen Leibgarde, die während der fünf Folgen bemüht ist, ihr leicht gestörtes Verhältnis zu Prince Adam/He-Man wieder in den Griff zu bekommen. Im Rahmen eines klassischen „Wir bringen die Band wieder zusammen“-Roadtrips durch Eternia und diverse Sub-Welten sehen wir ein breites Universum mit schillernden Charakteren, bunten Farben und – vor allem Vielfalt. Und das ist es eigentlich, was das Franchise immer ausgemacht hat. Auch wenn einem das als Kind vielleicht nicht bewusst gewesen ist.
Dürfen heterosexuelle Männer über queere Themen schreiben? Diese Frage haben wir schon in einem anderen Zusammenhang mit der Debatte darüber, ob weiße Männer schwarzen Blues machen dürfen bzw. ob weiße Frauen darüber schreiben dürfen, eindeutig mit Ja beantwortet. Insbesondere dann, wenn man damit der toxisch-männlichen Community eins auswischen kann, die in He-Man nur die Inkarnation des starken männlichen Superhelden sehen. Ein Rollenbild, was wohl bereits in der Grundanlage des Franchises immer falsch gewesen ist. Mit dem viralen Internet-Hit „Fabolous Secret Powers“, der wiederum in einer eigenen Actionfigur resultierte, wurde schließlich ganz deutlich auf den queeren Hintergrund von Prince Adam in ironischer Art und Weise verwiesen. Auch in zahlreichen englischsprachigen Artikeln wird mittlerweile klar herausgestellt, dass es sich bei den „Masters of the Universe“ auch um ein bunt-vielfältiges Statement handelt, das mehr oder minder allen Orientierungen und Richtungen einen Platz geben will. In Deutschland ist die Debatte noch nicht ganz angekommen. Diesen Job übernehmen wir aber hier sehr gerne.
In Prince Adams Darstellung in „Revelation“ wird dieses Motiv– so viel sei hier ohne weitere große Spoiler verraten – wieder aufgenommen und vertieft. Ob er schwul, bisexuell, transsexuell oder einfach gar nicht an Austausch interessiert ist, wird nicht explizit thematisiert. Das er aber „anders“ ist, als es von Männlichkeitsfanatikern und Gender- und Queerhassern erwünscht ist, dürfte eigentlich jedem, der etwas offene Augen und Ohren hat, klar sein – und das ist auch gut so. Aber auch auf der bösen Seite haben wir mehr oder minder direkte Hinweise. So wird Skeletors Orientierung vor allen auch in der alten Serie von den Machern ob bewusst oder unbewusst zumindest als nicht ganz eindeutig dargestellt – und Evil-Lyn wird nicht nur als starke, machtbewusste und dominant auftretende Frau gezeigt, sondern reflektiert auch offen über ihr toxisches und ambivalentes Verhältnis zum Totenkopfgesicht Skeletors.
Sollten diese Themen bei einer Kinderserie überhaupt eine Rolle spielen? Da „Revelation“ ohnehin eher eine andere Kern-Zielgruppe hat – die jetzt 35 bis 45-Jährigen – und wir auch sonst die Meinung vertreten, dass durchaus Kinder wissen dürfen, dass es Vielfalt gibt, warum denn nicht? Wir halten es mit der Queer-Band Schrottgrenze und sagen: Prince Adam/He-Man ist „eine kräftige Schwester mit Make-Up gegen die Angst“.
Fazit – Und ein sozialkritisches Schlagzeugsolo später…
Wenn die vorherigen Diskussionen eines gezeigt haben, dann dass es inzwischen fast unmöglich ist, Jenre-Serien und Filme losgelöst von den tobenden Kulturkämpfen um zu viel oder zu wenig „wokeness“ zu beurteilen . Niemand kann ernsthaft erwarten, dass die Neuauflage einer 40 Jahre alten Show für ein erwachsen gewordenes Publikum einfach nur den Zeichenstil updated – andererseits ist auch nicht jede Kritik an gewissen Veränderungen automatisch Ausdruck kindischer, toxischer Männlichkeit. Es ist schon so – anders als das Marketing suggerierte ist die Serie ist bisher eindeutig mehr „Teela and the Masters of the Universe“ denn eine He-Man Show. Prince Adam selbst ist, auch wenn er nicht gerade tot ist, eher eine leicht trottelige Nebenfigur, deren auch zeichnerische Darstellung augenscheinlich anders als in der Vorlage einen größtmöglichen Kontrast zum Muskelpaket He-Man bilden soll. Sagen wir so, mit acht Jahren hätten wir möglicherweise auch gefunden, dass das alles zu „mädchenhaft“ ist. Aber das ist eigentlich auch der Punkt: Die Serie ist eben nicht für 8-jährige, sondern für ein zwar nostalgisches Publikum, von dem man aber durchaus erwarten kann, dass sich der Horizont seit „Bim Bam Bino“-Zeiten etwas erweitert hat. Als solches betrachtet ist „Revelation“ eine absolute Wucht – was hier aus dem im Kern letztlich doch auf Klopperei ausgelegten Material an Tiefe bei Story und Charakteren herausgeholt wird, ohne diese jemals zu verraten, ist beeindruckend. Wer das Detailwissen und die offensichtliche Liebe der Macher zu dieser Welt nicht sehen will, der hat jedenfalls niemals „die Macht!“ gehabt.
PS: Um allerdings den Bogen zum Beginn zurück zu schlagen: Leider beginnt „Revelation“ aus wohl lizenzrechtlichen Gründen nicht mit der alten Titelmelodie – die neue Version ist zweifellos epischer, ob sie allerdings in 30 Jahren die gleichen Bilder im Kopf erzeugen mag, bleibt abzuwarten. Zumindest im Trailer wurde jedoch ein alter Klassiker bemüht. We need a Hero!
Autoren:
Michael Fisto-Fürstenberg und Anis Ben-At-Arms