„Männer des Westens“ zelebrieren den Hedonismus während die Band mit K mit ostdeutschem Understatement die Charts stürmt.
Neue Alben von Wanda und Kraftklub und der Soundtrack zur Deutschen Einheit.
Im Vorfeld des heutigen Tages der Deutschen Einheit durfte ich beruflich an einer Podiumsdiskussion der Friedrich-Ebert-Stiftung teilnehmen. Begleitet wurde diese von einer Jugend-Rap-Combo aus Mecklenburg-Vorpommern mit dem Namen Hinterlandgang. Die haben einen neuen Song gemacht mit dem Titel „3. Oktober“. Die Moderatorin fragte uns alle auf dem Podium, was wir fühlen, wenn wir diesen Song gerade gehört haben. Schwierige Frage! Ich sagte etwa, dass ich gerade ja erst 9 Jahre alt war zu dem Zeitpunkt und mir das natürlich etwas bedeutet. Meine weitere Antwort: Damals sind neue Leute nach Peine gekommen, deren Kinder waren dann auch bei uns der Klasse. Das fanden wir als Kinder irgendwie interessant. Vielleicht nicht die beste Antwort, aber mit so emotionalen Fragen kann ich auch nicht wirklich umgehen.
Ich fragte die Hinterlandgang im Nachgang, ob sie sich nach dem Album „Hinterland“ von Casper benannt hatten. Typisch westdeutsche Frage wahrscheinlich bzw. arrogante Annahme, dass sich eine Truppe aus dem Osten nach dem westdeutschen Oberjammer-Depri-Rapper benennt. Casper ist Sohn eines US-Soldaten und einer Deutschen und kommt aus Ostwestfalen-Lippe. Westlicher wären wohl nur Düsseldorf oder das KDW. Haben sie aber nicht. Zu meiner Verteidigung: Ich habe in der Diskussion auch einen Bezug zu Marteria versucht. Der kommt wie die Hinterlandgang aus Mecklenburg-Vorpommern und hat sogar schon mal ein Album zusammen mit Casper gemacht. Der titelgebende Song „1982“ ist immer noch eine wunderbar schöne Ost-West-Kollabo.
Eben jener Marteria hat vor kurzem den Song „Scheißossis“ herausgebracht. Als Kulturblog-betreibender aus Peine (fast ehemaliges Zonenrandgebiet) stammender Besser-Wessi kannte ich natürlich die ironische und die direkte Antwort darauf: Die Toten Hosen haben (zeitgleich mit Marteria) eine Art Doppel-Single rausgebracht und ihr Song „Scheißwessis“ ist die andere Seite der Medaille. Natürlich habe ich die Songs dann auch für meinen Part in der Podiumsdiskussion genutzt: „Wir scheiß Wessis machen immer alles klar. Scheiß Wessis gehen hier jedem auf den Sack. Wir scheiß Wessis. Waren schon lange vor euch da!“. Marteria habe ich aber im Gegensatz zu diesen Zeilen direkt dort zitiert: „Ich kauf Rotkäppchen Sekt und ein kleines Kotelett in Aspik. Ja, wir sind von gestern, doch wer hat hier die Tesla Fabrik, huh?“.
Über 30 Jahre nach der Einheit – im Osten wird das Ganze tatsächlich auch „Politische Wende“ genannt, was ich erstmals gehört habe, seitdem ich auch im Osten mit Ostdeutschen zusammenarbeite – scheint das Ost-West-Thema präsenter denn je. Insbesondere durch die langwierigen Flüchtlings-Debatten, die AFD und die Diskussionen über die Sanktionen gegen Russland bringen die (west-)deutschen Leitmedien die Unterschiede immer wieder auf die Titelseiten. Vielleicht sollte man aber einfach mal eher die gegenseitigen kulturellen Bereicherungen diskutieren? Zwei Alben sind in den Tagen vor dem 3. Oktober diesen Jahres erschienen, an denen das exemplarisch durchaus geht.
Wanda und das ewige Amore
Am Freitag vor dem Einheits-WE ist das neue Album der Wiener Band Wanda erschienen. Nach vier Studioalben und einer Liveplatte wurde es dann auch Zeit, dass das fünfte Album dann auch einfach den Namen der Band selbst trägt. Und jetzt fragt Ihr natürlich zurecht, warum ich dann eine Band aus Österreich in einem ost-west-deutschen Text zum Tag der Deutschen Einheit verarbeite? Nur weil sie beide zeitgleich rauskommen? Keine Sorge, hier soll nicht einer großdeutschen Lösung zusammen mit Österreich das Wort geredet werden. Gab es schon mal und hat in die schlimmsten Verbrechen des 20. Jahrhunderts geführt. Aber Wanda ist so dermaßen Westen wie sonst weniges. Gut, vielleicht noch die Toten Hosen oder Mallorca-Schlager. Bei Wanda wird der westliche Hedonismus aber geradezu zelebriert. Wiener Schmäh, viel Italien („Amore“, „Luzia“ „Bologna“ usw.) und „Ich will Schnaps“. Ganz in der Falco-Tradition von „Vienna Calling“ und „Männer des Westens“. So ist es auch jetzt auf „Wanda“ von Wanda.
Bezeichnenderweise fängt die neue Platte auch mit dem Song „Rocking in Wien“ an und das gibt auch den Takt vor. Wanda haben den Grundstein dafür mit ihrem Erstling „Amore“ gelegt und sind davon nie wirklich abgewichen. Die folgenden Alben reichten nie an „Amore“ heran, waren aber trotzdem immer irgendwie hörenswert. Zumidest immer einzelne Songs davon. „Wanda“ selbst ist jetzt auch nicht wirklich Neues, aber die schon vor Veröffentlichung des Albums herausgebrachten Songs wie „Jurassic Park“, „Die Sterne von Alterlaa“ und „Va Bene“ sind wunderbare West-Reminiszenzen und stehen den Klassikern „Bologna“ und „Schick mir die Post“ in wenig nach.
Highlights sind aber drei Songs, die die westliche Sehnsucht, aber auch die Melancholie dabei nacheinander wunderbar aneinanderreihen: „Orte an denen wir waren“, „Wir sind verloren“ und „Immer willst Du tanzen“. Sie sind sowas wie das emotionale Kernstück der Platte und das brauchen Wanda jetzt auch. In der Woche, in der die Platte veröffentlicht wurde, verstarb ihr Keyboarder nach langer Krankheit. „Schickt mir die Post schon ins Spital“, den Song dazu haben sie schon lange in wahrscheinlich unbewusster Voraussicht vorher gemacht. Der melancholische, aber auch hedonistische Sound der Band ist auch hierbei bezeichnend. Mögen sie die Kraft haben, das jetzt zu verkraften!
Wenn Ihr Album jetzt auf Platz eins in den deutschen Charts einsteigen sollte, wäre das vielleicht noch einmal eine kleine posthume Würdigung ihres verstorbenen Band-Mitglieds. Aber es gibt große Konkurrenz. Und die stammt aus dem Osten. Genauer gesagt aus Karl-Marx-Stadt. Mit K!
Kraftklub mit K mit ihrem neuen Album „Kargo“
Mit ihrem mittlerweile vierten Studioalbum „Kargo“ sind die Chemnitzer von Kraftklub (mit K) direkt nach Veröffentlichung auf diesen ersehnten goldenen Platz eingestiegen. Zu Wanda gibt es trotz der musikalischen Unterschiede durchaus Parallelen. Ihr erstes Album mit dem Titel „Mit K“ schlug ein wie eine Bombe. Die Kombination aus Rap, Punk und Indie war etwas Neues und wurde geneartionen- und jenrebildend. Viel der Songs des Debuts sind Kult-Hits geworden: „Ich will nicht nach Berlin“, „Eure Mädchen“, „Kein Liebeslied“ und „Karl-Marx-Stadt“ – alles Titel, die man bedenkenlos auf T-Shirts drucken kann. Es folgten „In Schwarz“, „Keine Nacht für niemand“, ein Live-Album und hunderte Live-Shows. Ich muss sagen, dass auch das was nach „Mit K“ kam, irgendwann etwas nervte. Nothing New, aber dennoch irgendwie immer noch besser als vieles andere. Der Lead-Rapper hat unter dem Namen Kummer auch ein Solo-Album herausgebracht, dass etwas an mir vorbeiging. Aber irgendwie haben sie mich mit „Kargo“ jetzt wieder.
Wenn bei Wanda westlicher Hedonismus das Prägende ist, so lässt sich bei Kraftklub feinsinnige Ironie und etwas ostdeutsches Understatement als durchgehende Geschichte erkennen. Gleich mit dem Opener von „Kargo“, „Teil dieser Band“, lässt sich das klar feststellen. Rapper Kummer singt hier: „Ich kann nichts singen. Ich spiel kein Instrument. Aber alle anspringen.“ „Blaues Licht“, das auch bei Böhmermann zusammen mit dem Rundfunktanzorchester Ehrenfeld zelebriert wurde, „Wittenberg ist nicht Paris“ und „Ein Song reicht“ machen hier weiter und vor allem Lust auf mehr.
Ein weiterer Song, „Fahr mit mir (4x4)“, zusammen mit Tokyo Hotel (ja, wirklich!) und weitere Kollabos bereichern den Kraftklub-Sound. Und wenn man auch vielleicht etwas zu alt für das alles ist, so bleibt man doch bei vielen der neuen Songs mit einem wohligen Schmunzeln hängen.
Nicht so ist es bei „Vierter September“! Kraftklub haben nach den schlimmen Ereignissen in ihrer Heimatstadt Chemnitz ein großes Anti-Nazi-Konzert auf die Beine gestellt und der Song handelt davon, wie der Tag danach ist. „Nichts hat sich verändert“, singen sie und Resignation macht sich breit. Kraftklub wollten immer dort bleiben, was sich in zwei Songs ihres ersten Albums klar ausdrückt. „Ich komm aus Karl-Marx-Stadt“ und „Ich will nicht nach Berlin“ sind die beiden zentralen Messages. Auf „Kargo“ wird das Ganze mit „Wittenberg ist nicht Paris“ weitererzählt. Hier kriegen die Weggezogenen, die aus ihrem neuen Kiez das Grünen-Wahlergebnis posten, ihr Fett weg. Für Platz eins der deutschen Charts hat es erst einmal gereicht. Aber um es mit einer 120 Jahre alten Schrift eines Vordenkers der sozialistischen Arbeiterklasse zu halten, der auch auf der Titelgeschichte der Visions zu „Punk in der DDR“, auf dem Coverbild zu diesem Text oben sichtbar, zu sehen ist: „Was tun?“ am 3. Oktober 2022?
…und ein sozialkritisches Schlagzeugsolo später
Dies ist hier nicht der richtige Rahmen, um die welt- und innerdeutschen Probleme endgültig zu lösen – auch wenn durchaus manchmal so getan wird. Am Ende ist der Ursprung dieser Seite die originäre Beschäftigung mit dem popkulturellen Diskurs, mit einem eindeutigen Schwerpunkt auf Musik. Und da hat die Einheit oder die Wende, wie auch immer man es nennen mag, doch wirklich richtig was gebracht. Wunderbare Bands wie eben Kraftklub oder Feine Sahne Fischfilet und Solokünstler wie Marteria hätten in einer Deutschen Demokratischen Republik vielleicht nicht so einen Erfolg gehabt. Vor allem hätte man sie im Westen allein aufgrund ihrer Herkunft wohl eher nicht auf Platz eins der deutschen Charts gebracht. So richtig spielt das eigentlich auch gar keine Rolle mehr, aus welcher Richtung des Landes ein Act kommt. Zumindest in der Massenwahrnehmung wird die Herkunft selten diskutiert. Nur die, die Zwietracht sähen wollen, tun das und zwar ganz bewusst.
Eine der auch weltweit bekanntesten deutschen Bands ist nämlich eine Ost-Band, wenn das auch selten so betont wird. Und auch wenn sie in meiner persönlichen Playlist nicht vorkommen, so sind Rammstein in ihrem Erfolg kaum zu toppen. Ich persönlich finde immer wieder interessant, wie die eigene Prägung doch die Sicht auf die Welt beeinflusst. Von Fliegerkosmonaut Sigmund Jähn habe ich erst so ca. 1995 durch den Dritte Wahl-Song „Schaum auf der Ostsee“ erfahren, während die Ost-Kinder den Namen wahrscheinlich sogar schon im Kindergarten kannten. Rammstein haben ihre Ursprünge nebenbei tatsächlich in ostdeutschen Punkbands. Ja, die gab es auch. Und der ehemalige Ost-Punk-Band-Keyboarder „Flake“ von Rammstein ist jetzt angesagter Gast mit eigenem Programm bei hippen Berliner Radiosendern.
Und was das oftmals belächelte ostdeutsche Hinterland betrifft; das gibt es auch im Westen. Schrottgrenze haben das bereits 2007 recht prägnant mit ihrem Song „Hinterland“ besungen. Und wer das hört, wenn man die endlosen Weiten im Niemandsland zwischen Peine und Braunschweig, im Landkreis Hildesheim oder im Norden Gifhorns abfährt, der bemerkt den Ost-West-Unterschied nicht mehr wirklich. Ob das im Ganzen positiv ist, müsst Ihr für Euch am Ende selbst beantworten!
Amore (mit K)!
Euer Anis
Ein Klassiker der Wohlstandkinder (west):